Cirque me out oder: Begrenztheit ist dehnbar
Da Fitness-Studios und Schwimmbäder immer noch (und wohl auch noch für längere Zeit) geschlossen sind und sich mein Körper mit allen verfügbaren Mitteln wie Muskelzerrungen, Bauchschmerzen und Knieproblemen gegen das Laufen wehrt, habe ich wieder zur Teppichgymnastik zurückgefunden. Um mich entsprechend zu motivieren, suchte ich im Internet nach Vorturn-Videos und bin dabei ausgerechnet bei meinem Lieblingszirkus hängen geblieben. Gut, ich geb’s zu: Ich bin beim Cirque-du-Soleil-Gucken über die Fitness-Videos gestolpert.
Natürlich war mir von Anfang an klar, dass ich die Übungen möglicherweise nicht ganz so perfekt nachturnen kann wie es mir Kontorsions-Artistin Lauren vormacht. Aber im Dunkel des Wohnzimmers sieht ja keiner, dass ich meine Haxen nicht ganz über den Rücken bis zum Kopf biegen kann. Beim Yoga sagen die Trainer ja auch immer, dass man nur soweit gehen soll wie’s einem guttut. Was soll ich sagen: Da war ich ein bisschen mutiger und hab’s manchmal satt krachen lassen im steifen Skelett-Gebälk. Ich bin noch nicht mal abgesprungen, als Lauren eine Übung komplett im Handstand absolvierte – das habe ich einfach „ein wenig“ abgewandelt.
Beim „Flexibility Sculpting“, was so viel heißt wie Flexibilitäts-Formung, kam ich dann aber irgendwie an meine physiologischen Grenzen. Ich meine, ja, eine Brücke kriege ich schon hin, aber halt, indem ich mich vom Boden aus nach oben ächze, nicht in Form einer geradezu mühelos eleganten Rückbeuge. Während also Lauren ihren geschmeidigen Körper aus dem Stand zu einer beeindruckenden Golden Gate umbiegt, kriege ich gerade mal ein windschiefes Rinnsal-Brückerl zuwege. Auch mein Yoga-Boot sieht ein bisserl anders aus – ja, wahrscheinlich würde ich damit kentern.
Während also Lauren ihren geschmeidigen Körper aus dem Stand zu einer beeindruckenden Golden Gate umbiegt, kriege ich gerade mal ein windschiefes Rinnsal-Brückerl zuwege.
Nach dem Motto „wenn’s wehtut, noch zehn Zentimeter“ habe ich mich trotzdem tapfer weitergekämpft bis zur Section 3, die komplett im Spagat ausgeführt werden sollte. Gut, hab ich mir gedacht, es geht ja hier primär um die Dehnung und die ist bei mir schon bei runden 100 Grad erreicht, die 80 Grad weiter sind dann also eh geschenkt. Aber so billig lässt einen die Lauren nicht davonkommen: „Dein Körper kann das“, sagt sie voller Überzeugung. Na gut, denke ich mir, wenn sie das sagt, geh ich halt noch ein Stückchen weiter – bis ich endgültig die Grätsche mache. Sie also Spagat, ich Muskelfaserriss. Macht ja nix. So lange nichts Anderes geht, muss das gehen.
Nach 40 Minuten ist die Tortur geschafft, mehr oder (bei mir) weniger, und Lauren kündigt den Cool Down an. „Some fun things“, das klingt doch vielversprechend. Und schon biegt sich Lauren wieder in die Brücke, um dann irgendwie ihren Oberkörper mit den Beinen einmal links- und einmal rechtsherum zu umkreisen. Klingt verdreht? Ist es auch. Genau wie die anderen Classic Figures, die Lauren da so turnte. Den klassischen Kontorsions-Handstand zum Beispiel finde ich jetzt auch nicht so geeignet, um die Muskulatur abzukühlen. Eines habe ich bei der Geschichte auf jeden Fall gelernt: Mein Körper müsste im Grunde viel mehr können. Also bis zum nächsten Verbiegen mit der Kontorsions-Artistin. Oder ich probiere doch lieber eine Yoga-Stunde für Senioren aus.
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