Homo paradoxus
Der Mensch ist ein paradoxes Wesen. Das stellt die Spezies gerade jetzt wieder eindrucksvoll unter Beweis. Während sich (zumindest die seriöse) Wissenschaftswelt einig ist, dass nur eine radikale Abkehr von dem zerstörerischen Lebensstil der Industrienationen die Klimakrise einzudämmen hilft, zelebriert der Rest das „Nach-mir-die-Sintflut“-Prinzip. Wie die Mehrheit im Moment handelt ist in etwa so logisch wie das Verhalten eines störrischen Kleinkinds, das trotz eindringlicher Warnungen vor den schlimmen Folgen mit beiden Händen auf die heiße Herdplatte patscht. Gratulation, der Verstand hat’s ja wirklich weit gebracht.
Wo Experten einen verantwortungsvollen Umgang mit den Ressourcen anmahnen – die wir, nebenbei bemerkt, für dieses Jahr schneller aufgebraucht haben als noch 2019 -, bauen sich besonders schlaue Menschen zum Beispiel heute private Swimming Pools. In der Schule haben sie noch mysteriöse Blitz-Krankheiten oder merkwürdige Monatszyklen vorgetäuscht, um nur ja nicht am Schwimmunterricht teilnehmen zu müssen, aber heute braucht’s das energie- und wasserverschlingende eigene Schwimmbad. Und natürlich ein Sports Utility Vehicle – nicht, weil das der Nachbar auch hat, nein, nein, sondern weil man das (oft zurecht) mangelnde Vertrauen in die eigenen Fahrkünste in die vermeintliche Sicherheit einer monströsen Karosserie übersetzt. Dann ist da noch die Sache mit dem übermäßigen Fleischkonsum, der zwar mit einer Tierquälerei unvorstellbaren Ausmaßes und einer ebenso groß dimensionierten Verschwendung von Land und Wasser einhergeht. Aber wie soll man dem argentinischen Steak in der Discounter-Fleischtheke widerstehen, wenn zuhause auf der handtuchgroßen Terrasse der zweikubikmetergroße Grill vor sich hinglimmt?
Überhaupt: Warum soll man selbst vernünftig sein, wenn doch die Politik die Unvernunft zum Führungsstil erkoren hat? Da brennt ein Bolsonaro die grüne Lunge des Planeten nieder und wird dazu mit der Unterschrift unter das Mercosur-Abkommen unter anderem von Deutschland angefeuert. Ein unersättlicher Elon Musk darf in Brandenburg ein Wasserschutzgebiet mit seiner Luxusauto-Fabrik zupflastern, weil die Verkehrswende an die Elektromobilität geknüpft wird – was ungefähr so sinnvoll ist wie gegen einen Super-GAU mit angereichertem Uran vorzugehen. Obwohl klar ist, dass die Agrarsubventionen eine Landwirtschaft unterstützen, die auf Zerstörung, Ausbeutung und Tierleid basiert und zudem die Klimaerwärmung beschleunigt, hält die EU stur an diesem System fest. Deshalb hat auch vor kurzem ein Agrarexperte von Greenpeace das Handtuch geworfen, der als Teil eines wissenschaftlichen Beraterteams bei der EU gegen eine Wand gerannt ist. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Fast noch frustrierender als die Entscheidungen der Politiker ist allerdings die Tatsache, dass sie trotzdem gewählt werden.
Ein bisschen was ist besser als gar nichts.
Gegen so viel Ignoranz ist kein Kraut gewachsen. Trotzdem ist das meine Strategie. Die Verbündeten im kleinen Aufbäumen gegen das grassierende Paradoxon-Virus haben wohlklingende Namen wie centaurea montana, medicago lupolina, achillea millefolium oder plantago lanceolata und sprießen im Vorgarten. Zugegeben, mit rund 30 Quadratmetern ist es eine kleine Kampfarena gegen die Betonkopfmentalitäten ringsum, aber ein bisschen was ist besser als gar nichts. Für alle, die sich meiner Protestaktion anschließen und auch eine Wildblumenwiese aussäen wollen, habe ich einen wichtigen Hinweis: Geduld ist der Nährboden der Vielfalt. Zwei Jahre hat es gedauert, bis unter mehreren Grasarten auch verschiedene Wildblumen ihre bunten Köpfchen in die Höhe recken und die ersten Hummeln auf Gourmetreise anlocken. Auch wenn’s gegen den Wahnsinn der Menschheit wenig hilft: Es tut gut, die Natur machen zu lassen. Irgendwann holt sie sich hoffentlich mehr zurück als nur die 30 Quadratmeter vor meinem Zuhause.
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