Olympia, komm zu Dir!

Olympia, komm zu Dir!

Natürlich hat man wieder mit den Athleten mitgefiebert und sich über deutsche Medaillen gefreut als würden sie künftig das eigene Wohnzimmer zieren. Sport funktioniert ja irgendwie immer und Olympia ist nun mal das größte Sportereignis der Welt. Trotzdem blieb der olympische Geist diesmal in der Flasche, respektive in der Impfampulle.

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Was fehlte, war die Leichtigkeit, das Konfetti für die Sportler, der Trubel um Triumphe. Das lag natürlich einerseits an den Hygienevorschriften, die Vieles, was Olympia so einzigartig macht, in einen sterilen Ausnahmezustand versetzten. Da musste sich ein australischer Trainer dafür entschuldigen, weil er sich ausgelassen und ohne Maske über die Goldmedaille seiner Athletin freute. Da versiegten bei der Siegerehrung die Freudentränen der Gewinner im Zellstoff der Schutzmaske. Da wollte einfach keine rechte Stimmung aufkommen in den leeren Rängen der Veranstaltungsstätten. Das ist nicht Olympia.

 

Doch nicht nur die Corona-Pandemie wirkte sich negativ auf die Spiele aus, die eigentlich keine waren. Denn mit dem Begriff Spiel assoziiert man etwas Unbeschwertes, Fröhliches, Unangestrengtes. Davon war in Tokio wenig zu spüren. Viele, die in der Sauna Hochleistungssport betrieben, kämpften oft mehr gegen den Kollaps des eigenen Systems als gegen andere Athleten. Wo Sportler reihenweise mit Tragen und Rollstühlen von den Sportstätten transportiert werden, beginnt man unweigerlich über Bestechungsgelder für IOC-Funktionäre zu spekulieren, mit denen sich die Widrigkeiten des Gastgeber-Landes bequem ausblenden lassen. Bach und seine Mannen sind ohnehin schmerzbefreit: Beim nächsten olympischen Großereignis bewegen sich die Sportler innerhalb der Grenzen einer menschenverachtenden Diktatur, die als Veranstalter die eigene Propagandamaschine anwirft – das erinnert verteufelt an Berlin 1936. Das ist nicht Olympia.

In China wirkt Staatstreue so leistungsfördernd wie unerlaubte Substanzen.

Apropos China: Dass dieses Land den Medaillenspiegel anführt, befeuert die gelbe Staatspropaganda ebenso zuverlässig wie die einstudierten Gesten der Sportler, die sich Xi Jinping-Konterfeis an den Trainingsanzug hefteten und mit zum Teil martialischen Choreografien und Handbewegung keinen Zweifel daran ließen, dass Staatstreue genauso leistungsfördernd wirkt wie die unerlaubten Substanzen, die in irgendwelchen geheimen Laboren entwickelt werden. Aber gegen die Sportlerin, die mit über dem Kopf gekreuzten Armen ihre Solidarität für gesellschaftliche Randgruppen bekundete, wurde ein Verfahren eingeleitet. Olympia ist schließlich nicht politisch – ja, klar, deshalb muss eine weißrussische Sprinterin auch in Polen um Asyl bitten, weil sie im eigenen Land wegen sanfter Kritik an Funktionären vermutlich für lange Zeit im Gefängnis verschwinden würde. Das ist nicht Olympia.

 

Angesichts der Riege alter, selbstgerechter Männer und Frauen, die das olympische Komitee darstellen, ist es zudem wenig verwunderlich, wie schlecht ausgeprägt das Gespür für den Zeitgeist ist. Da stinkt der Fisch vom Kopf weg, wie man so schön sagt. Thomas Bach gibt mit seiner reaktionären, rückwärtsgewandten Art als Präsident ein noch schlechteres Bild ab als sein umstrittener spanischer Vorgänger. Da wird nicht nachgedacht, sondern einfach weitergemacht. Und so gibt es dann noch ein deutsches Fremdschäm-Exempel: Eine hysterische, greinende Fünfkämpferin, die aus eigener Überforderung und unter Anfeuerung ihrer Trainerin ein sichtlich gestresstes Pferd mit Gerte und Sporen malträtiert. Das ist ganz sicher nicht Olympia.

 

14-Jährige, die mit ihren Skateboards irre Kunststücke vollführen, ein australischer Surfer, dem seine mögliche Olympiateilnahme neuen Lebensmut gab (und obendrein die Bronzemedaille), Kletterer, die sich wieselflink eine senkrechte Wand hinaufhanteln machen da schon deutlich mehr Spaß. Überhaupt ist es einzig und allein den Athleten und ihren Teams zu verdanken, dass diese merkwürdigen Spiele in Tokio auch ihre guten Seiten hatten. Man denke nur an die zwei Hochspringer, die sich die Goldmedaille teilten, der Marathon-Läufer, der seinen somalischen Landsmann zu einem letzten Spurt animiert und ihm so zu Bronze verhilft oder die österreichische Radfahrerin, die allen Profis einfach mal davonfuhr: Das ist Olympia.

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