The Power of Jane Campion
Der Wilde Westen zu Beginn des 20. Jahrhunderts war eine harte, frauenfeindliche Umgebung. Dass sich in der weitläufigen Szenerie von Montana ein Western abspielt, der seine gewaltige Kraft aus dem psychischen Spannungsfeld der vier zentralen Protagonisten schöpft, kann nur einer Frau im Regiestuhl gelingen: Mit „The Power of the Dog“ schuf Jane Campion ein Meisterwerk jenseits amerikanischer Wild-West-Klischees. Die New York Times beschrieb den Film als „Nichts weniger als außergewöhnlich“ und hat damit völlig recht.
Feinfühlig erzählt Campion die Geschichte zweier Brüder, die auf ihrer Ranch im weiten Nichts von Montana ein Leben fernab ihrer Bestimmung führen. Der eine, Phil, tarnt sich mit einem brutalen, gefühlskalten Alter Ego in der wesensfeindlichen Welt der Cowboys, der andere, George, vegetiert völlig in sich zurückgezogen vor sich hin, ständig in der Angst vor den Demütigungen seines Bruders. Benedict Cumberbatch und Jesse Piemons verleihen den Brüdern Gestalt und schöpfen dabei ihr (beträchtliches) schauspielerisches Potenzial voll aus. Cumberbatch lässt durch den Panzer des herzlosen Psychopathen die innere Zerrissenheit seiner Figur erkennen, Piemons reichen subtile Gesten, um George als Gefangenen seiner feindlichen Umwelt darzustellen. Kein Duell der Schauspieler, sondern eine gegenseitige Förderung der darstellerischen Fähigkeiten – auch das ein Verdienst von Jane Campion.
In der blonden Floristin Rose, die das Schicksal ebenfalls am Ende der Welt stranden ließ, sieht George einen Silberstreif in der Dunkelheit seines Daseins – und Rose eine Chance, denn die Brüder zählen mit ihrer Ranch durchaus zur Oberschicht des amerikanischen Bundesstaates. Phil jedoch macht seiner Schwägerin das Leben zur Hölle. Vor den dunklen Holzpanelen der riesigen Farm entspinnt sich ein Psychokrieg, in dem Rose unweigerlich unterliegt. Kaum eine andere Schauspielerin hätte der Verzweiflung ein authentischeres Gesicht geben können wie Kirsten Dunst, die seit Lars von Triers „Melancholia“ nicht mehr eine derartige Präsenz auf die Leinwand brachte. Vom vorsichtigen Versuch, sich im Leben der Brüder einen Platz einzuräumen, bleibt am Ende nur die totale Selbstaufgabe. Rose wird zur bemitleidenswerten Trinkerin.
„Was wäre ich für ein Mann, wenn ich nicht alles dafür tun würde, um meiner Mutter zu helfen“: Diese Aussage hängt noch aus der Anfangssequenz des in Kapitel unterteilten Filmes in der Luft, als Roses schmächtiger Sohn Peter in den Sommerferien auf die Farm kommt. In seinen viel zu weiten Jeans, den weißen Turnschuhen und dem bis oben zugeknöpften Hemd ist er die perfekte Zielscheibe für den groben Phil, der seiner Männlichkeit unter anderem dadurch Ausdruck verleiht, dass er sich nicht wäscht. In Wahrheit verbirgt er unter den Schichten an Schmutz und Bosheit einen ausgeprägten Intellekt – und seine eigene Homosexualität, die er nur an einem geheimen Ort und mit dem Halstuch seines früheren Mentors, einem ebenfalls schwulen Haudegen, zulässt. Im Gegensatz zu den platten Homo-Klischees der „Brokeback Mountain“-Cowboys reichen Jane Campion subtile Anspielungen, um die Neigung von Phil zu offenbaren – ein vielsagendes Streichen über den Sattel, ein zweideutiger Blick auf plantschende Cowboys und eine allenfalls angedeutete Masturbation mit einem alten, dreckigen Halstuch.
Der junge Peter dagegen geht mit seiner Homosexualität selbstbewusst um. Seiner Mutter berichtet er vom Zusammenleben mit einem anderen Medizinstudenten und die Häme der Cowboys auf der Ranch nimmt er klaglos hin. Seinen stärksten Auftritt hat er, als er erhobenen Hauptes durch einen Spalier an verächtlichen Kommentaren schreitet, sich dann umdreht und die gleiche Strecke nochmal absolviert. Spätestens in dieser Szene wird klar, wer in diesem Film wirklich die Hosen anhat. Kodi Smit-McPhee verkörpert mit seiner Darstellung des Peter ein modernes Männerbild, dessen Stärke sich nicht über olfaktorische oder physische Merkmale definiert. So ist er es am Ende, der mit seiner Intelligenz der Handlung eine unerwartete Wendung gibt. So viel sei verraten: Er rettet seine Mutter aus der psychischen Unterdrückung durch Phil. Auch der findet letztlich Erlösung – es ist der einzige Weg, der ihn aus dem falschen Dasein führt.
Jane Campion hebt das Westerngenre auf das intellektuelle Niveau eines Kammerspiels.
Wie schon in den 1990ern mit „Das Piano“ entwickelt sich die Handlung des Films mit der Gefühlswelt der Figuren, auf die Jane Campion ihre ganze Aufmerksamkeit richtet. Der Schein, dass sie sich mit aktuellen gesellschaftlichen Trends auseinandersetzt, trügt. Jane Campion interessiert sich für Menschen in ihrem inneren Spannungsfeld – ein Thema ohne Verfallsdatum, vor allem, wenn man es so großartig einfangen kann wie die Oscar-prämierte Regisseurin. So schafft sie es auch, das Westerngenre auf das intellektuelle Niveau eines Kammerspiels zu heben. Hollywood würde dieses Kunststück nie gelingen. Für einen Geniestreich wie „The Power of the Dog“ braucht es offenbar einen britischen Hauptdarsteller und eine neuseeländische Regisseurin. Mit diesem Film zieht sie ihren amerikanischen Kollegen auf jeden Fall die Cowboystiefel aus.
Leider war der Film nur für wenige Tage und auch da nur in ausgewählten Kinos zu sehen. Und „The power of the Dog“ zählt eindeutig zur Kategorie der Filme, die für die große Leinwand gemacht sind. Derzeit kann man ihn aber nur auf Netflix streamen. Was man jedoch unbedingt tun sollte.
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