Da kommt was Großes auf uns zu
Wenn Satire die Realität eher weich- als überzeichnet, wird dann aus Satire Wahrheit oder aus Wahrheit Satire? Bei „Don’t look up“ trifft wahrscheinlich beides gleichermaßen zu und gerade deshalb weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll. Dass die Kritiker den Film zerrissen haben, mag aus rein cineastischer Perspektive seine Gründe haben. Als Metapher für den Umgang mit dem Klimawandel trifft er aber voll ins Schwarze – beunruhigenderweise.
Adam McKay ist in den letzten Jahren mit Filmen aufgefallen, die Krisen kleinteilig auseinandernehmen und brachial plakativ erläutern. In „The Big Short“ lässt er Margot Robbie von der Badewanne aus das Geschäft mit den Hypotheken-Aktien erklären, in „Vice“ plant Christian Bale alias Dick Cheney über Chicken Wings, Bier und den Kopf des dümmlichen US-Präsidenten George W. Bush hinweg den Krieg, der das 21. Jahrhundert verändern sollte. In seinem neuesten Werk schreien Leonardo DiCaprio (wie immer unfassbar gut) und Jennifer Lawrence das Ende der Welt in dieselbe hinaus, ohne gehört zu werden. Es mag übertrieben anmuten, aber genauso empfinden es vermutlich die Wissenschaftler, die seit Jahrzehnten vor den drastischen Folgen der Erderwärmung warnen.
„Don’t look up“ zeigt eine Gesellschaft, die heute praktisch exakt so funktioniert: In Talkshows rückt die wissenschaftliche Erkenntnis vom Ende der Welt hinter die hohle Betroffenheit über die Trennung zweier Pop-Sänger – und der unmittelbar über die sozialen Medien messbare Erfolg dieser Nachrichtenpriorisierung gibt den Machern auch noch recht. Wenn hier der besorgten Wissenschaftlerin zurecht der Kragen platzt, führt das eher zu Shitstorms in den sozialen Medien als zur kollektiven Panik. Das alles ist erschreckend real.
Die Darstellung der amerikanischen Präsidentin zum Glück nicht (mehr): Meryl Streep brilliert als Janie Orlean mit der unverkennbaren Parodie eines Präsidenten, der sie einst als mittelmäßige Schauspielerin einstufte. Das luxusverwöhnte Söhnchen als Chef der nationalen Sicherheit (großartig: Jonah Hill) an ihrer Seite und ihr Sexgespiele, ein ehemaliger Pornodarsteller, den sie in den Supreme Court hievt, lassen keinen Zweifel an McKays Anspielung auf Donald Trump. Natürlich ist da nichts subtil, aber die Holzhammer-Methode begründet der Regisseur in seinem Film: Anders kriegst du Botschaften heute nicht mehr vermittelt – zumindest nicht der breiten Masse.
Wir stecken mitten drin.
Die Botschaft ist deutlich: Wenn wir nichts tun, werden wir sterben. Die meisten von uns zwar nicht wie im Film in sechs Monaten, 14 Tagen und 11 Minuten, aber viele eben schon, denn in einem halben Jahr tritt mit Sicherheit irgendwo auf der Welt wieder ein Wetterextrem mit verheerenden Folgen auf. Wir stecken also mitten drin in der Handlung. Und, ganz ehrlich, feinsinnige künstlerische Darstellungsmethoden hin oder her: In diesem Falle kann es gar nicht plakativ und schrill genug sein. Passieren wird leider trotzdem nichts. Aber sich über das eigene Phlegma im Angesicht der ultimativen Katastrophe zu amüsieren, hat ja auch was.
Adam McKay ist kein Freund tiefgründiger Symbolik – und das macht seine Filme so erfrischend. So darf Mark Rylance ganz unverfroren eine Karikatur von Marc Zuckerberg geben, die mehr wie ein Avatar agiert als ein Mensch – Meta halt. Dass dieser sich gern zum digitalen Heilsbringer stilisiert, konterkariert McKay mit der geradezu irrsinnigen Fokussierung der Filmfigur (wirklich nur der?), alles zu Geld zu machen. So will der Zuckerberg-Klon, der im Film Peter Isherwell heißt, die seltenen Erden und wertvollen Metalle aus dem Kometen bergen. Dass dabei nicht der Planet, auf dem er immer noch in realer menschlicher Gestalt existiert, explodiert, will er mithilfe bahnbrechender Technologie den neun Kilometer großen Brocken in kleine handliche Teile sprengen. Die Idee, einer drohenden Katastrophe apokalyptischen Ausmaßes mit innovativer Technologie Herr zu werden, entstammt erschreckenderweise nicht der Feder des Drehbuchschreibers. Auch Politiker in unserem Land scheinen daran zu glauben.
Dem Wahnsinn versuchen die Wissenschaftler noch eine letzte verzweifelte Kampagne entgegenzusetzen: „Look up“, fordern sie die Menschen auf, über deren Köpfen der Komet bereits gut sichtbar seine Feuerbahn zieht. Die Regierung bläst ihrerseits zum Gegenangriff: „Don’t look up“, was in diesem Fall nichts anderes heißt, als den Kopf in den Sand zu stecken. Einem Aufruf, dem erstaunlich viele Menschen folgen – ja, auch eine offensichtliche Parallele zum Klimawandelleugner Trump und seiner realitätsfernen Gefolgschaft. Das Ende des Films ist so konsequent wie unvermeidlich. Aber wer den Abspann abwartet, bekommt zumindest ein kleines versöhnliches Happy End.
„Don’t look up“ läuft derzeit (leider nicht im Kino) beim Streamingdienst Netflix. Und dazu starte ich hier einen ganz ernst gemeinten Aufruf: „Look up“!
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