Besondere Schwere der Umstände
Dass eine Tatort-Ausstrahlung an Halloween keine so gute Idee ist, war mir von Anfang an bewusst. Wenn man an diesem (un)heiligen Tag überhaupt fernsieht, dann sollte es ein Slasher- oder Horror-Movie, wenigstens eine düstere Gespenstergeschichte aus dem alten England sein. Dafür spricht nicht nur der Tag an sich, sondern auch die Umstände. Nach drei (oder doch vier?) Gläsern Feuerzangenbowle ist man doch eher für die grobmotorische Bildsprache mit Blutfontänen oder wild herumfliegenden Gliedmaßen empfänglich. Bei einem Krimi dagegen kann man schon mal den Faden verlieren….
„Luna frisst oder stirbt“, der vielversprechende Titel des jüngsten Tatorts ist gleichzeitig der verkaufsfördernde Buchtitel eines Erstlingsromans: Luise Nathan, Tochter einer Frankfurter Stadträtin und durchaus als privilegiert einzuschätzen, schreibt in einer merkwürdigen Mischung aus Halbsätzen und Lautmalerei ein Buch über ein Mädchen aus einem sozial weniger begünstigten Umfeld und landet damit einen Sensationserfolg. Kurze Zeit später fällt sie von einer Brücke – wie ihre Romanfigur. Oder nein, doch nicht so, denn wie Kommissarin Anna Janneke (Margareta Broich) beim Lesen feststellt, entscheidet die ich in letzter Sekunde anders – „jetzt erst recht“ heißt das entsprechende Kapitel.
Die Kommissare befragen einen ratlosen Clemens Schick in der Rolle des Verlegers und überbringen der Mutter die Todesnachricht, als sich diese gerade wieder sozial engagiert. In einem Lokal, das sich „Klemme“ nennt, glaube ich zumindest. Im Moment fokussiert mein Großhirn auf die Darstellerin der Nellie Kuntze: Sie erinnert mich an die Daisy aus Downton Abbey, aber ich habe sie schon mal in irgendeiner deutschen Produktion gesehen. Ich schließe mal kurz die Augen, um darüber nachzudenken.
Egal, jetzt alle Konzentration auf den Tatort.
Hoppla, die Tote vom Anfang ist ja wieder quicklebendig – ah, Moment, das scheint ein Rückblick zu sein. Also sie und ihr Freund haben wohl eine Bank überfallen und flüchten jetzt mit der Beute. Hmmmmm…. Die Moshammer-Biografie!!!! Ja genau, da hat diese Nellie mitgespielt und zwar als duckmäuserische Assistentin, die von Hannelore Elsner gnadenlos tyrannisiert wird. Wann ist die gleich gestorben? Egal, jetzt alle Konzentration auf den Tatort. Die Kommissarin schaut recht müde aus, jetzt gähnt sie auch noch. Oh je….
Jetzt ist auf einmal die Moshammer-Assistentin eine Bankräuberin und wirkt auf einmal gar nicht mehr so zurückhaltend wie noch – na eben, wie vorhin. Sie fordert ihren Freund, der das Auto steuert, mit einer recht vulgär formulierten Begründung auf, anzuhalten. Irgendwo unter einer Brücke verliert sie dann offenbar ihr Kind, während der Freund auf mysteriöse Weise verschwunden ist. Ich muss jetzt kurz mal in mich gehen, um die Handlungsstränge zu sortieren. Ist die Autorin jetzt doch tot und wenn nicht, in welchem Fall ermitteln dann Janneke und Brix? Die beiden hatten doch mal so eine superspannende Halloween-Folge…
Nellies Mutter ist offenbar ein erziehungstechnischer Totalausfall, womöglich ist ihr asozialer Freund der dicke Blonde mit dem Roller, von dem immer wieder die Rede ist. Also für eine Milieustudie bin ich heute nicht gewappnet, da schalte ich mal kurz ab. Ui, schon gleich Dreiviertelzehn – und Nellies Mutter wird in Handschellen abgeführt. Wen hat sie denn umgebracht, diese Luise oder ihren pädophilen Freund (ja, das habe ich mitbekommen)? Ich werde es wohl nie erfahren. Gut zu wissen, dass Halloween im nächsten Jahr nicht auf einen Sonntag fällt.
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